Jean-Francois Lyotard: Wie sich der Marxismus in die Postmoderne retten wollte – Nachruf auf einen Toten, der das Tote kultivierte

Anmerkung des Editors: Immer wieder mal zwischendurch bemerkt auch der  fleissigste Beobachter des Zeitgeschehens, daß er bedeutende PROTAGONISTEN des Denkens nicht auf dem Bildschirm hatte. So geschah es mir mit einem der VORDENKER der gegenwärtigen russischen Putin-Administration, Iwan Iljin – vollständig: Iwan Alexandrowitsch Iljin -, so geschieht es mir heute bei Jean-Francois Lyotard, einem der Vordenker des sogenannten “Postmodernismus“. Meine Titelwahl —  Jean-Francois Lyotard: Wie sich der Marxismus in die Postmoderne retten wollte – Nachruf auf einen Toten, der das Tote kultivierte  — ist schon Teil meines Rezeptionsprozesses: Lyotard setzt an bei Husserl’s Phänomenologie – trotz der von Husserl am Ende selbst zugegebenen methodischer Schwächen, was eine sehr seltene Ehrenhaftigkeit ist im Bereiche der Wissenschaft, vergleichbar womöglich nur dem Eingeständnis Hilberts um 1930 oder so, daß sein “Hilbert’sches Programm” gescheitert sei  – und bei Martin Heidegger, für den das Lexikon der Philosophie von Austeada/Austria, erste Auflage, wenig schmeichelhafte Bemerkungen übrig hatte, und verwendet die Ansätze dieser beiden Autoren, um seine eigene MARXISTISCHE oder eventuell SOZIALISTISCHE “ideologische Kritik der Kritik” im Sinne eines DESTRUKTIVISMUS von Wissenschaft – und vielleicht auch des Denkens selbst? – vorzutragen. Leider liegt diese Lyotard-Position SEHR WEIT entfernt von meinen eigenen Forschungen – und ich merke eben nur noch schnell an, daß ich VERBLÜFFT war, daß eine Zeitung wie die Frankfurter Rundschau FÄHIG war, einen solchen Nachruf zu schreiben, der ohne etliche Bildungvoraussetzungen gar nicht richtig zu konsumieren  ist. Die Frankfurter Rundschau verzichtet jedoch seltsamerweise darauf, den AUTOREN-Namen zu nenen. Vielleicht würde ein POSTMODERNIST jetzt schliessen: Moderne ist TOT, Postmoderne ist TOT durch Selbstdestruktion und Jean-Francois Lyotard ist tot – und wir alle sind irgendwann auch tot. Ich denke schon, daß wir eine ANDERE GRUNDGESTIMMTHEIT und ein ANDERES TEMPERAMENT brauchen im Angesichte der heutigen GEFAHREN durch WISSENSCHAFT, die Jean-Francois Lyotard – wie viele Zeitgenossen übrigens – noch gar nicht richtig auf dem Bildschirm hatte. Aber das ist die übliche Schwäche der heutigen Philosophie, daß sie nämlich in mathematischen und physikalischen Bereichen HINTERHERHINKT, was vielleicht einer der Gründe für das sogenannte “Ende des – realen –  Marxismus” im “realen Sowjetsystem” war – oder auch nicht.

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(anonymus) Überlegungen zu Jean-François Lyotard: Selbstgespräch des Logos; in: Frankfurter Rundschau, 9.8.2024

Stand: 09.08.2024, 15:47 Uhr

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Jean-Francois Lyotard.
Jean-Francois Lyotard. Foto: Laif © ©Marcello Mencarini/opale.photo/

Der vergessene Vordenker der Gegenwart: Überlegungen zu Jean-François Lyotard, der am 10. August 100 Jahre alte geworden wäre. Von Konstantin Sakkas

Auschwitz, so schrieb Jean-François Lyotard in einem Aufsatz, der 1983 in seinem Opus Magnum „Le Différend“ erschien, sei vergleichbar mit einem Erdbeben, das nicht nur Dinge und Leben zerstört habe, sondern auch die Geräte, mit denen wir Erdbeben messen. Der Satz steht im Zusammenhang einer phänomenologischen Klärung der präzedenzlosen entmenschlichenden Gewalt, die als Merkmal der Shoah betrachtet wird; aber er lässt sich mutatis mutandis auch als generelle historisch-anthropologische Aussage verstehen: Wir leben in einer Epoche, die nicht nur anders als die vorhergehende, sondern die von aller Zeit, die ihr vorausging, radikal getrennt ist, als hätte es diese andere Zeit nie gegeben; eine aus der Zeit gefallene Zeit.

Auschwitz als tat-lose Tat, die Gegenwart als zeit-lose Zeit – das sind die beiden Grunddiagnosen Lyotards, mit denen er die intellektuelle Szene um 1980 erschüttert.

Im Denken Lyotards, der am 10. August 1924 in Versailles geboren wurde, verdichtet sich das Denken des 20. Jahrhunderts: Ausgehend von den beiden Hauptwurzeln der kontinentalen Philosophie, der philosophischen Phänomenologie und dem (antiautoritären) Marxismus – er gehörte von 1954 bis 1964 der Gruppe socialisme ou barbarie an, die sich gegen den sino-sowjetischen Realsozialismus stellte –, popularisiert er im Jahr 1979, das Historiker inzwischen zum Geburtsjahr der Gegenwart erklärt haben, den Begriff der Postmoderne und prägt auch das Wort von der „fin des grands récits“, dem „Ende der großen Erzählungen“.

Damit antizipiert er – scheinbar – einerseits die Diagnose Fukuyamas vom „Ende der Geschichte“ von 1989 und schließt andererseits an an die Technikkritik eines Günther Anders, für den das Dasein im „technetronischen Zeitalter“ (Zbigniew Brzezinski) seine kräfte- und gefühlsmäßige Wirklichkeit verloren hat. Doch Lyotard ging es um mehr.

Die mit dem Begriff der Moderne verbundene Verheißung liegt darin, dass in ihr die Menschheit bei sich ankommen würde. Da Bei-sich-Sein des Geistes, als der mit Hegel das Menschengeschlecht selber zu denken ist – das sollte diese Moderne, deren Beginn mit 1789 angesetzt wird, sein. Das Zeitalter der Weltkriege und des Totalitarismus, so lautet die gängige ideengeschichtliche Erzählung, enttäuschte diese Erwartung, machte sie aber nicht zugleich ganz obsolet; denn der Zusammenbruch des Ostblocks und der „Siegeszug des Liberalismus“ nach 1989 schienen doch noch den geschichtsphilosophisch gewünschten Endpunkt der Geschichte zu liefern. Ein derart affirmativ verstandenes Posthistoire als halkyonische „Geschichte nach der Geschichte“ wäre freilich nur eine neue große Erzählung, ein „metarécit“, das für Lyotard genauso als Ideologie abzulehnen sei wie die „großen Erzählungen“ (Historismus, Kommunismus, Faschismus) davor. Denn darum handelt es sich bei Lyotards Postmodernebegriff eigentlich: um das Instrument einer radikalen Ideologiekritik.

Radikaler als Adorno in seiner Ablehnung einer falschen Totalität, radikaler als Heidegger in seiner Ablehnung einer falschen Metaphysik war Lyotard in seiner an Edmund Husserl orientierten Zurückweisung jeder Theorie von der Wirklichkeit, die diese schon entwirklicht. Auch ein dogmatischer Materialismus wie etwa der Marxismus als Theorie geht immer fehl, weil uns das Materielle jenseits von Lust und Schmerz immer schon nur in der Anschauung, nie unvermittelt entgegentritt.

In seinem Aufsatz „Beantwortung der Frage: was ist postmodern?“ (natürlich eine Anspielung auf Kants berühmte „Beantwortung der Frage: was ist Aufklärung?“, die gut zweihundert Jahre zuvor erschienen war) schreibt Lyotard folgerichtig 1989: „Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann.“

Damit schließt der „späte“ Lyotard an an den der frühen Phase, der mit einer Einführung in die philosophische Phänomenologie 1954 berühmt wurde. Erst nach fast vierzig Jahren, 1993, wurde sie ins Deutsche übersetzt, in seinem Nachwort zur deutschen Ausgabe zieht Christoph von Wolzogen eine bedeutungsvolle Parallele zwischen Lyotard und Emmanuel Lévinas, indem er dessen Philosophie des Anderen in Lyotards radikaler Subjektkritik wiederfindet. Denn der „Tod des Subjekts“ meint nicht etwa eine nihilistische Verabschiedung des Menschseins, sondern im Gegenteil dessen Wiedergewinnung durch die gnadenlose Dekonstruktion der Sprecherposition, die immer exklusional wirkt. Bei Lyotard muss das Subjekt, das aus seiner Bedingtheit nicht herauskann, sterben, damit der Mensch, der Inbegriff des Unbedingten, leben kann.

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Lyotards scharfer Dekonstruktivismus ist nicht der Negativismus, als der er gern verschrien wird, sondern, indem er den Menschen als Produkt seines Sprechens und nicht als dessen Autor ausweist, die denkbar ehrlichste Rehabilitation des Menschseins; sie stellt den Menschen heraus nicht als Tier, das einen Logos hat, sondern als Logos, der sich zu seiner Selbstexplikation eines Tieres bedient. In dieser johanneischen Wende („Im Anfang war das Wort“) von Geschichtsphilosophie und Anthropologie liegt der tiefere Sinn des linguistic turn, zu dessen Hauptvertretern Lyotard gezählt wird.

1983, im selben Jahr wie „Le Différend“, erscheint in Zürich das heute völlig vergessene Büchlein „Wirklichkeitswahn. Die Menschheit auf der Flucht vor sich selbst“. Darin behauptet der Autor, der Psychiater Alfred J. Ziegler, dass die Entwirklichung, auf deren Pfad die Menschheit im Zeitalter der dritten industriellen Revolution sich befinde, schon in der Urgeschichte mit ihren in Höhlenmalereien gebannten Traumgesichten angelegt gewesen sei.

Hiervon führt eine Brücke zu Lyotard, der in besagtem Aufsatz von 1989 über die Kunst der Postmoderne schreibt, dass Werk und Text „für ihren Autor immer zu spät kommen oder, was auf dasselbe hinausläuft, dass die Arbeit an ihnen immer zu früh beginnt. Postmodern wäre also als das Paradox der Vorzukunft (post-modo) zu denken.“

Das lässt sich auf die Geschichte im Ganzen erweitern: Wir sind nicht etwa postmodern, weil die Moderne hinter uns läge; wir sind es, weil sie je vor uns liegt, das, was wir uns von ihr erwarten, aber immer schon hinter uns ist. Ja, wir sind nie modern (soll heißen: nie in Übereinstimmung mit der Welt und uns selbst) gewesen, wie Bruno Latour sagt, und wir waren es immer schon, seit wir aus dem Paradies entlassen wurden. Welt- und zeitlos leben wir seither in der zeitlichen Welt, fehlen uns seither, nicht erst seit Auschwitz die Instrumente, um die Wirklichkeit, in die wir gestellt sind, zu messen.

In der Verständigung über diese Paradoxie oder Antinomie besteht das Menschsein. Geschichte als Selbstgespräch des Logos, der immer schon in Distanz zu den Geschichten lebt, die er erzählt; als große Figuration, die aber deshalb nicht eitel und leer ist, weil sie nämlich mit echten Menschen spielt – in diesem Gedanken liegt vielleicht das zentrale Vermächtnis Lyotards.

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Buike Science And Music

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*11.06.1953, Bremen, Germany - long years in Neuss/Germany